Wie reagierst du, wenn dir jemand willkürlich eine Grenze aufzeigt, die du einhalten sollst und nicht willst? Wirst du rebellieren und dich dagegen zur Wehr setzen?

Als Erwachsener wirst du es mit ziemlicher Sicherheit tun. Vor allem dann, wenn dir klar ist, dass jegliche nachvollziehbare Gründe fehlen. Und warum? 

Weil du von dieser Person nicht abhängig bist. Du bist erwachsen, eigenständig. Du kannst selbst Verantwortung übernehmen und Entscheidungen treffen. Niemand muss für dich Grenzen setzen. 

Doch was ist mit unseren Kindern? Brauchen sie Grenzen? Und wenn ja, wann, warum und vor allem: welche? Und: wer darf und soll sie setzen?

Grenzen sind ein sensibles Thema

Grenzen setzen bzw einhalten ist ein hoch sensibles Thema. Vor allem solange derjenige, der die Grenzen einhalten soll, sozial, emotional oder teilweise sogar physisch von dem Grenzen-setzenden abhängig ist. Das ist bei Kindern natürlicherweise der Fall. 

Kinder brauchen ihre Eltern. Sie sind emotional abhängig, denn sie brauchen die Liebe, Zuwendung und Fürsorge für ihr Heranwachsen. Ebenso sind sie sozial abhängig. Sie brauchen den Austausch, das Vertrauen, die Unterstützung und vieles mehr um selbstständig zu werden. Die Bindungsforschung hat schon lange festgestellt, wie wichtig eine sichere Bildung für eine gesunde Entwicklung von Kindern ist. 

Im Baby- und Kleinkindalter ist vor allem die physische Abhängigkeit von den Erwachsenen besonders groß: Babys wie Kleinkinder müssen getragen, gehalten oder begleitet werden. Sie werden Tag und Nacht umsorgt, gefüttert, gewickelt, getröstet. 

Die Trotz- bzw. Autonomiephase

Mit zunehmenden Heranwachsen nimmt diese Abhängigkeit dann ab. Sehr deutlich kann man diese zunehmende Selbstständigkeit und abnehmende Abhängigkeit in der „Trotzphase“ oder besser (weil treffender) gesagt in der Autonomiephase beobachten. Ein hohes Maß an Abhängigkeit bleibt dennoch weiter bestehen und löst sich nur schrittweise mit jedem einzelnen Entwicklungsschritt eines Kindes etwas mehr auf. 

Diese Abhängigkeit ist in höchstem Maße sensibel und bedarf jeder Menge Fingerspitzengefühl sowie Achtung und Respekt. 

Und genau da verbirgt sich der Knackpunkt. Denn in dieser Abhängigkeit ist auch ein enormes Machtgefälle sichtbar. Die Macht des Großen über den Kleinen. 

Hier liegt die Verantwortung des Erwachsenen, von uns als Eltern. Hier liegt es an uns, achtsam und sorgsam mit dieser, uns durch die Geburt unseres Kindes übertragenen Macht umzugehen. 

Wenn Macht zur Gewalt wird

Denn ein falscher Gebrauch von Macht, häufig in Form von Gewalt ist doch allzu gegenwärtig. Dieser falsche Machtgebrauch erfolgt häufig als Folge von Unwissenheit oder Überforderung. Aber auch aus Angst oder Druck von Außenstehenden. Doch es liegt in unserer Verantwortung als Eltern, uns dieser Macht bewusst zu werden und sehr genau hinzusehen, wann und wie wir sie unseren Kindern gegenüber einsetzen. 

Ein falscher Gebrauch von Macht ist einfach nur Missbrauch. Und es ist ein Missbrauch unserer elterlichen Macht. Ein Missbrauch am Vertrauen unserer Kinder. Ein Missbrauch an den Kindern selbst.

Das darf, nein es MUSS aufhören. Nicht mehr wegsehen. Sondern jetzt handeln. 

Macht sichtbar machen

Es ist unsere Aufgabe uns selbst sichtbar und greifbar zu machen, wo wir selbst Macht haben und uns bewusst zu werden, welche  Gewalt dahinter steckt. Erst dann können wir lernen damit sorgsam umzugehen und unseren Kindern ein friedvolles, liebevolles Aufwachsen zu ermöglichen. Das ist unsere elterliche Pflicht. Dafür sind wir sogar per Gesetz verpflichtet. 

Wir dürfen und müssen unseren Kindern ein Aufwachsen ermöglichen, welches frei von Gewalt ist. Eine Entwicklung, in der es von uns lernt, welche natürlichen Grenzen es gibt und wie man sie achtet. Sodass wir überhaupt keine künstlichen Grenzen brauchen. Denn künstliche Grenzen sind nicht nur überflüssig, sondern in den allermeisten Fällen extrem übergriffig, ist auch erniedrigend, herabwürdigend und beschämend. Grenzen wie diese brauchen Kinder nicht. 

Denn alles was Kinder wollen, ist ein Zusammenleben in Vertrauen, in Wertschätzung und in Achtung einander gegenüber. Und dieses Zusammenleben zu ermöglichen ist unsere elterliche aber auch gesellschaftliche Aufgabe.